WalterQuintus
Erschienen in JAZZTHETIK 05/06-2017
Der Sound war sein Beruf -
Zum Gedenken an Walter Quintus
 
von Jan Kobrzinowski
Im Februar 2017 starb der bekannte deutsche Toningenieur, Produzent und Musiker Walter Quintus. Er war wie kein anderer verantwortlich für zahllose magische Momente der europäischen Tonträgergeschichte. Musiker und Musikliebhaber schätzen seinen unvergleichlichen Sound. Walter Quintus galt unter Musikern und Produzenten als einer der ihren. Ich hatte die Gelegenheit, mit einigen von ihnen zu sprechen.
 
 
Joachim Kühn, Piano:
„Walter und ich kamen 1971/72 zusammen, er wurde bald mehr als ein Tonmeister für mich, wir hörten beide auf die gleiche Weise, verstanden uns gut und wurden Partner und Freunde, und das blieben wir für 45 Jahre. Er besuchte mich mehrmals auf Ibiza. Anfang der 1980er baute er das CMP-Studio auf. Er produzierte von Anfang an mit und blieb dort, auch nachdem CMP verkauft wurde. Zerkall (ein winziges Dorf in der Nähe von Düren/NRW, d. Verf.) war für 25 Jahre praktisch mein zweites Zuhause. Vor wenigen Monaten haben wir noch meine letzte Platte zusammen gemacht. Wir hatten damals sogar versucht, ein eigenes Label zu gründen, das muss in den 90ern gewesen sein, geschäftlich jedoch waren wir leider beide ziemliche 'Nullen', so haben wir das bald wieder liegen gelassen. Die Musiker haben ihn geliebt, ich habe keinen getroffen, der etwas Schlechtes über Walter gesagt hätte. Er war kein Aufschneider, aber er wusste, dass er einer der Besten auf seinem Gebiet war.
Neben der Aufnahme von akustischer Musik, bei der er immer bemüht war, die Instrumente möglichst 'groß' klingen zu lassen - war er auch ein Erfinder auf dem Gebiet der 'Manipulations' (diesen Namen trug auch eine seiner eigenen Platten). Ich habe damals viele Nächte am Klavier verbracht, im Studio mit Kopfhörer, und Walter saß am nebenan am Mischpult und verfremdete den Sound mit analogen und digitalen Mitteln. Das wurde unser Markenzeichen für einige Produktionen von Ballett-Musiken. Wir haben diese Musik 1987/88 in Paris mit Carolin Carlson live im Théâtre de la Ville gespielt. Und es sind dabei zwei CDs entstanden. (Time Exposure und Dark, der Verf.).
Walter Quintus war nicht nur Tonmeister, sondern auch Musiker, ausgestattet mit absolutem Gehör. Er kam aus der Klassik und kannte sich in vielen Bereichen aus. Er begann im jugendlichen Alter als Geiger. Später dann, mit seiner eigenen Rockgruppe Parzifal, wollten sie Aufnahmen im Studio machen. Der Tonmeister, der sie aufnehmen sollte, war so schlecht, dass Walter die Sache schließlich selbst in die Hand nahm. Und so ist er dann Tonmeister geworden, weil er nicht zufrieden mit dem Sound war. Und der Sound wurde zu seinem Hauptberuf, wobei er stets als Musiker mitgearbeitet hat. Sein Ziel blieb immer, den Musikern zu helfen, ein besseres Produkt zu erzielen. Er hat mit so vielen gearbeitet, auch in der Klassik, durch seine klassische Bildung konnte er Partituren lesen."
 
 
Michael Dreyer, Festivalchef Morgenland-Festival, Labelchef, Musiker:
„Mit Walter zu arbeiten war ein einziges Geschenk. Es ging ihm um nichts als Musik. Was für ein Mensch und was für ein Musiker! - Ich sehe ihn, ich höre ihn und kann es nicht fassen, dass er gegangen ist.Wir haben magische Musik aufgenommen. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber immer hört man die Menschen hinter der Musik. 'Wenn jeder diese Musik hören könnte, wäre die Welt friedlicher', sagte Walter über Jivan Gasparyan jr., den er beim Morgenland Festival Osnabrück aufgenommen hat.“
 
 
Michel Godard, Tuba, Serpent:
„Als ich meine professionelle Karriere als Musiker begann, hörte ich Walter Quintus’ Aufnahmen und ich hoffte, diesen Mann irgendwann einmal zu treffen. Ich dachte: das sind besten Aufnahmen, die ich je gehört habe. Das waren Aufnahmen des CMP-Labels. Ich war so froh, dass wir dann irgendwann zusammen aufnehmen konnten, die ersten damals mit Mark Naussef. Ich hatte immer das Gefühl, dass der Sound auf Walters Aufnahmen ein ganz spezieller war.
Walter war sehr loyal, aber er konnte auch zeigen, wenn er etwas nicht mochte oder er auf Leute traf, die es als Musiker nicht ernst meinten. Wenn er jemanden nicht mochte, konnte es sehr schwierig mit ihm werden.“
Die letzte Aufnahme mit Walter Quintus machte Michel Godard auf dem Morgenland Festival Osnabrück 2016 - man höre das wunderbare Duett „The Trace of Grace“ mit dem aserbaidschanischen Sänger ‪Alim Qasimov‬.
Link: https://youtu.be/8JLpz03PkSQ
 
 
Florian Weber, Piano:
„Es fällt mir schwer, in einer solchen Situation etwas konkretes über Walter zu sagen. Zu unkonkret ist das Gefühl der Trauer und der Fassungslosigkeit über den Verlust eines wunderbaren Menschen. Ich weiß nur, dass ich ihm viel zu verdanken habe, dass er mich mit seiner Kunst berührt hat, dass er zu der emotional intensiven und konzentrierten Atmosphäre im Studio beigetragen hat, die die erste Demo-Aufnahme mit Markus Stockhausen entstehen ließ. Seine spätere Bearbeitung dieser Aufnahme hat diese enorme Tiefe und ermöglichte neue Perspektiven, die letztendlich dazu geführt haben, dass und vor allem wie wir die Aufnahme für ECM gespielt haben.“
 
 
Wolf Kerschek, Komponist, Arrangeur, Professor Hochschule für Musik u. Theater:
„Mit Walter Quintus verlieren wir einen großartigen Tonmeister und einen wundervollen Menschen. Ich habe ihn immer als Perfektionisten, als einen überzeugten Künstler erlebt, der immer und für alle die Extra-Meile ging und sich nicht zufrieden gab, bis er es für gut befand. Auch wenn er es, nach all dem, was er sich in seinem Leben an Meriten verdient hatte, sicher nicht mehr nötig gehabt hätte. Fasziniert hat mich besonders, dass er, der auf der ganzen Welt großartige Projekte durchgeführt hat und von berühmten Musikern weltweit geschätzt und geliebt wurde, immer dort, wo er gerade war, ohne Kompromisse sein Bestes gab, egal ob es sich um ein renommiertes Celebrity- oder ein Studentenprojekt handelte, er maß jedem die gleiche Wichtigkeit zu und nahm jeden, dort wo er gerade war, ernst. Deswegen und vor allem wegen seiner liebenswürdigen Art haben wir Musiker ihn geliebt und vermissen ihn sehr. Ich bin dankbar, dass ich ihn kennen lernen durfte und in sehr unterschiedlichen Umgebungen mit ihm arbeiten durfte.“
 
 
Rabih Abou-Khalil, Oud:
„Seit 30 Jahren habe ich mit niemand anderem aufgenommen. Walter war immer mehr ein weiterer Musiker im Studio als nur der Toningenieur, er war ein Mit-Produzent, der nie seine Meinung zurückgehalten hätte und damit immer willkommen war. Er ist auf die natürlichste Art und Weise mit der Musik umgegangen. Und doch blieb sein Umgang mit den Reglern immer intuitiv. Walter war in seiner Jugend ein Wunderkind, der schon mit 14 Jahren auf Konzertbühnen stand. Später hat er das Musizieren vermisst, seine Geige war immer dabei und hatte ihren Platz im Studio, leider hatte er nie die Zeit dazu, sie einzusetzen. Er besaß das Gespür, Leute zusammen zu bringen und stand wie kein anderer für eine Andere Art der Musikproduktion, d.h. mit viel Zeit aufzunehmen und genau dann, wenn es dran ist, ins Studio zu gehen. Und er war ein Freund, ich habe viel Zeit privat mit ihm verbracht.“
 
 
Mark Nauseef, Schlagzeug, Percussion:
„Ich hatte Ende der 80er Jahre ein Stipendium, um in Bali und Java mit dortigen Musikern Aufnahmen zu machen. Walter Quintus, unser Toningenieur und unser digitales Mischpult kamen gemeinsam auf dem Flughafen an. Wir packten aus, doch das Display des Pultes blieb nach dem ersten Hochfahren dunkel. Was sollten wir tun? Es stellte sich heraus, dass auf der gesamten Insel nur ein einziges Mischpult zu bekommen war. Ein altes, verstaubtes analoges Teil aus den Beständen eines DJs, ohne Phantomspeisung für die Mikrofone. Es ging hier nicht um field recordings, sondern um hochwertige Aufnahmen von virtuosen Gamelan-Musikern. Wir zweifelten, aber Walter sagte: ‚Lass es uns damit probieren!‘ Er arbeitete sich ein und so entstanden preisgekrönte Aufnahmen. Walter war absolut brillant.“
 
 
Trilok Gurtu, Percussion, Schlagzeug:
„Ich habe einige meiner Platten mit Walter bei CMP aufgenommen. Er hatte ein großartiges Gefühl für akustischen Klang.“
 
 
Markus Stockhausen, Trompete:
„Alles in Zerkall hatte einen leicht provisorischen Touch. Kurt Renker hatte im Obergeschoss eine fantastische Abhöranlage. Wir haben Stunden und Stunden und Tage und Tage mit Walter im Studio verbracht. Er hat vieles einfach erst möglich gemacht. Alles mit ihm brauchte mehr Zeit, aber dadurch, dass er viel genauer als andere hinhörte, man redete über alle Nuancen, Hallräume, Dynamik, Stereobild etc., Walter war ein Klangvisionär. Es war der Wille da, Kunst zu machen. Dennoch hatte er große Achtung vor dem Wunsch des Musikers. Er hatte seine ganz eigene Art, an den Mixer heranzugehen.
Er hat keine Mühe gescheut und am Ende hieß es: '…und wenn noch was ist, dann rufst du an, dann mache ich es noch mal neu.' Wir haben uns hinsichtlich der Klangästhetik sehr entsprochen.
 
 
Glen Velez, Master-Perkussionist, Grammy-Gewinner:
„Walter war eine sehr wichtige Person für mich, als ich all die Aufnahmen für CMP Records gemacht habe…
 
 
Michael Wollny, Piano:
„Eine meiner Lieblings-CDs aller Zeiten ist eine Solo-Piano-Aufnahme von Richie Beirach von 1992 mit dem Titel Self Portraits. Aufgenommen wurde sie im Studio Zerkall, und Richie schrieb als Liner Notes ein großes Dankeschön an Walter Quintus für den unglaublichen sound und 'very important creative input'. Als Siggi Loch mich vor 10 Jahren fragte, ob ich mir eine Solo-Aufnahme vorstellen könnte, kannte ich also Walters Namen von dieser CD, natürlich auch von vielen anderen CMP-Aufnahmen, und fast allen Aufnahmen des Trios Kühn/Jenny-Clark/Humair. Also sagte ich so etwas wie: 'Ja, und am liebsten im Studio Zerkall mit Walter Quintus.' Bei unserer ersten Begegnung war ich damals richtig ‚star struck‘.
Über die Jahre war ich dann noch immer wieder mit Walter im Studio; als wir Hexentanz gemischt haben; er war mit mir in Bayreuth in der Steingraeber Fabrik, wo wir nachts im Intonations-Raum freie Improvisationen aufgenommen haben; und meine ersten Skizzen zur Wunderkammer machte ich auch wieder in Zerkall, wo Walter mir ein Cemablo und eine Celesta organisiert hatte. Später hat er dann Konzerte in Elmau, Darmstadt und Berlin mitgeschnitten.
Aufnehmen mit Walter, vor allem in seinem Studio, waren anders als alle anderen Sessions. Es gab zum Beispiel keine festen Zeiten und kein Büro; die Aufnahmen fanden meistens nachts statt. Als ich für die Wunderkammer-Vorproduktion Overdubs ausprobieren wollte, und er zeitgleich andere Termine hatte, hat er mir einfach den Studioschlüssel in die Hand gegeben und gezeigt wo ich 'Record' drücken muss - ich konnte dann ein paar Tage 24 Stunden lang ausprobieren und aufnehmen wann immer ich wollte. Als wir Hexentanz gemischt hatten, sagte er an einer Stelle: 'Geh mal für eine Stunde spazieren, ich mach da mal was.' Und als ich zurückkam, hatte er aus einer freien Improvisation eine seiner genialen elektronischen Architekturen gebastelt.
Walter war ein ganz genauer Zuhörer, das war wirklich faszinierend - nicht nur technisch, er hat auch immer als Musiker zugehört. Das heißt, er hörte natürlich als erster wenn die Intonation (oder Flügelstimmung) nicht mehr gut war, oder wenn das Mikro um einen Zentimeter verrutscht war, aber er gab auch Feedback wie ein Mitmusiker, und Anregungen wie ein Komponist; er spürte wenn man mit einem Take unzufrieden war, und konnte genau formulieren, was man beim nächsten Mal vielleicht anders machen könnte. Beim Mischen hat er mich mehrmals davon abgehalten, Sachen auszubessern (wie jeder gute Produzent), und den richtigen Take zuerst gehört.
Am wichtigsten ist vielleicht, daß Walter für mich immer diese Aura eines Freundes umgeben hat - ich glaube, er war einfach ein bedingungsloser, sehr sehr großzügiger und warmherziger Freund von Musikern, von Kunst, von improvisierter Musik. Und dieses Gefühl, verstanden zu werden, noch bevor die ersten Töne gespielt werden, hat mir immer wieder große Freiheit ermöglicht. Es war einfach, kreativ zu sein, wenn er zuhörte.“
 
 
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